Un Viaggio in Francia
2 Plakate
2 prints, ungerahmt, 40 x 50cm
Un Viaggio in Francia #1, Sig. Fustinoni – The monument, Saint-Loop-de-Varennes, 1934
Un Viaggio in Francia #2, Unknown – Sig. Fustinoni while photographing the monument, Saint-Loop-de-Varennes, 1934
Auflage:
2039 wird photographisch betrachtet ein großes Jahr werden. Dann wird zelebriert werden, dass 1839, also genau vor 200 Jahren, Frankreich die Photographie der Welt geschenkt hatte. Dieser runde Geburtstag einer der bedeutendsten technischen Errungenschaften der Zivilisation wird so manchen romantischen Rückblick auf eine Zeit beflügeln, in der die Photographie noch Chemiker brauchte. Dass ontologisch versierte Theoretiker inzwischen verkünden, dass es die Photographie nicht mehr gibt, wird nur noch mehr Grund zu idealistischer Rührung liefern.
Aber was Photographie ist, wusste man 1839 genau so wenig wie heute. Kunstschaffende hassten, belächelten oder liebten die neue Technik, die sofort als Konkurrenz gesehen wurde. Die Bourgeoisie verhalf dem neuen Metier zu einem Boom, weil es mit dem photographischen Porträt einen fast adeligen Gottesbezug erhielt. Und Charles Baudelaire nannte sie eine dummdreiste Verschwörung, die die Böswilligen und Narren vereint. Und daneben, ganz unspektakulär, begann die photographische Vermessung der Welt. 1839 war die Photographie plötzlich da und niemand wusste so ganz genau, woher sie kam. Ein Engländer und drei Franzosen hätten wohl das ihre dazu beigetragen, dass es ab nun plötzlich eine völlig neue Kulturtechnik gab.
Dass unser Auge optische Bilder erzeugt und dass es schon mindestens seit der Antike Apparate gibt, die das auch können, war auch 1839 gar nichts Neues. Wir können uns diese Bilder merken, Menschen mit photographischem Gedächtnis sogar in einer verblüffenden Genauigkeit, wir können uns an diese Bilder erinnern, wir können sie vielleicht in unserem Gehirn speichern und sie können in unseren Gedanken und Träumen wieder vor das Auge geführt werden. Aber genauso wie diese Bilder da sind, werden sie sogleich von der Zeit weggefressen.
1933 wurde im Burgund ein Monument errichtet. Verkehrstechnisch wurde der Ort gut gewählt, denn es steht direkt an der route nationale 106 und der Eisenbahnlinie PLM (Paris-Lyon-Marseille), die ein zentrale Nord-Süd-Achse in Frankreich sind. „In diesem Dorf erfindet Niecephore Niepce 1822 die Photographie“, steht dort auch noch heute in Stein gemeisselt zu lesen. Was Niecephore Niepce 1822 gelang, vielmehr, dass er es erfunden hätte, war, dass er auf chemischen Weg einen Stich durch Licht kopieren konnte. Oder, um es photographisch auszudrücken, es gelang ihm ein Bild zu belichten und zu fixieren.
Und wir pflichten diesem Denkmal bei. Genau in diesem Dorf im Burgund namens Saint-Loup-de-Varennes, fand 1822 eine unscheinbare aber bedeutende Zeitenwende statt. Hier wurde die Zeit in eine photographische und in eine vorphotographische getrennt. Und dieser Ort verdient mehr, als jeder andere einen monumentalen Gedenkstein. Denn hier wurde nicht irgendein chemischer Versuch gemacht, der sich wie ein Mosaiksteinchen in die Entwicklung der Photographie eingliedern würde, sondern hier fand eine Revolution statt. Das Photographieren wurde erfunden.
Zwei Jahre nachdem dieses Monument feierlich eröffnet wurde, begab sich Sig. Fustinoni aus Mailand mit Frau Lienhardt auf eine Reise nach Paris. Er fuhr an dem Denkmal vorbei und hielt seinen Wagen an. An einem Ort von so historischer Bedeutung können man nicht einfach vorbeifahren, sondern von diesem Ort müsse man vielmehr eine Photographie machen. Das hieß damals auf einem Film, der nur Grautöne aber nicht Farbe darstellen konnte, eine Aufnahme zu belichten. Sig. Fustinoni photographierte also das Monument mit ruhiger Hand in ausgewählter Perspektive. Und gleichzeitig wurde ein Foto von Sig. Fustinoni gemacht, das ihn zeigt wie er das Monument photographiert.
Von dem Monument wurden im Laufe der Jahrzehnte natürlich unzählige Photographien gemacht. Von Sig. Fustinoni vor dem Monument gibt es genau eine Photographie. Wenngleich die beiden Bilder in visuellen Details sehr gleich sind, so sind sie ontologisch betrachtet völlig unterschiedlich. Das erste hat zum Ziel, das Monument in einer klassisch dokumentarischen Weise zu zeigen, und damit die Existenz und die Wichtigkeit dieses Steinblocks zu verewigen. (Im Nachlass von Man Ray findet sich ebenfalls eine Photographie des Monuments, die er 1930 gemacht hätte. Dass er das Monument Jahre vor dessen Bau photographiert hat, hat wohl mit seiner Nähe zu den surrealistischen Kreisen in Paris zu tun.) Das zweite Bild hingegen spricht nicht über das Monument sondern über die Existenz von Sig. Fustinoni, indem er photographierend vor dem Monument von einer anderen Kamera photographiert wird.
Roland Barthes hat uns darüber aufgeklärt, dass die Photographie endlos reproduziert, was nur einmal stattgefunden hat: sie wiederholt mechanisch, was sich existenziell nie mehr wird wiederholen können. Die Aufnahme des Monuments als auch die Aufnahme, die Sig. Fustinoni das Monument photographierend zeigt sind flüchtige Augenblicke. Aber durch den photographischen Akt sind sie fixiert worden und so wurde aus einem Moment, zwei existierende und somit existentielle Photographien. Auf unseren Photographien ist zu sehen, was einmal 1935 am Weg nach Paris, am Rande der route national 106, Höhe Saint-Loup-de-Varennes war. Sie zeigen also etwas, das nie wieder sein wird und, wenn wir Roland Barthes richtig verstanden haben, somit den Tod.
Frühere Gesellschaften, schreibt Barthes, wussten es so einzurichten, dass die Erinnerung, Ersatz für das Leben, ewig wurde und dass wenigstens das, was den Tod zum Ausdruck brachte, selbst Unsterblichkeit erlangt: das DENKMAL. Indem die moderne Gesellschaft aber die – sterbliche – Photographie zum allgemeinen und gleichsam natürlichen Zeugen dessen macht, „was gewesen ist“, hat sie auf das Denkmal verzichtet.
Eines Tages, vor nicht sehr langer Zeit, stießen wir auf zwei Photographien von Sig. Fustinoni. Mit großem Erstaunen sagten wir uns, dass wir die Kamera sähen, die Sig. Fustinoni und das Denkmal zu Ehren des hundertsten Todestages von Niécephor Niépce photographiert hat, das auf die unsterbliche Tatsache hinweist, dass in diesem Dorf 1822 die Photographie von Niecéphore Niépce erfunden wurde.